Simon Turner in den Abendstunden an der Playa de Atrás: Er liebt es, seine transitorischen Werke ohne Zuschaueraufmerksamkeit zu schaffen und freut sich dennoch, wenn diese später von spielenden Kindern in Besitz genommen werden, bevor sie dann wieder das Meer vereinnahmt.
Das erste Mal bin ich Simon Turners Land-Art im Internet begegnet, als er auf seiner Facebook-Seite Bilder seiner Kunstwerke postete. Ich war sofort fasziniert. Wie schön sah das aus! Wer ist der Künstler, fragte ich mich, und wie macht er das und womit? Wie bekommt er solch riesige Mandalas hin, hat er doch, wenn er direkt danebensteht, kaum Überblick über das gesamte Werk. Ob er uns ein Foto für unseren Lanzarote37°-Jahreskalender zur Verfügung stellen könnte, damit unsere Leser sich genauso an seiner Kunst erfreuen könnten wie ich? Ich wollte diesen Künstler unbedingt kennenlernen und so schickte ich ihm eine Nachricht und bat, ihn kennenlernen zu dürfen.
Simon antwortete prompt und wenige Tage später saßen er und seine Freundin Sarah-Jane Mason, die ebenfalls Künstlerin ist, bei mir in der Küche und wir beschnupperten uns.
Schnell komme ich mit Simon und Sarah, beide stammen aus Großbritannien, ins Gespräch. Die Liebe zu Lanzarote schafft sogleich ein verbindendes Element und ihre erfrischend offene und unprätentiöse Art lässt sie liebenswürdigerweise darüber hinwegsehen, dass mein Englisch nach so vielen Jahren ohne nachhaltige Hör- und Sprechpraxis auf das Beklagenswerteste gelitten hat. Und Simon freute sich, in unserem Kalender 2019 präsent zu sein.
Ich erfahre, dass die beiden sich schon Jahre, bevor sie ein Paar wurden, kennengelernt hatten, sich in den Tiefen der sozialen Netzwerke zufällig wiederbegegnet waren und – nachdem sie sich in Leeds auf einen Kaffee verabredet hatten – nun unzertrennlich sind. Der Gedanke lässt beide schmunzeln, während sich ihre Blicke innig begegnen. Irgendwie merkt man gleich, dass die beiden – so jedenfalls mein Eindruck – ähnlich ticken.
Weder Simon noch Sarah würden sich für Kommerz oder Konsum verbiegen. Beide leben konsequent nach ihrer Façon und sind durchaus zu einschneidendem Verzicht bereit, um einem Ziel näher zu kommen.
Ihrem Ziel, auf Lanzarote ein offenes Kunsthaus zu gründen, wo Künstler aus der ganzen Welt leben und arbeiten können, solange sie möchten, nähern sich Simon und Sarah mit konsequenter Systematik. Weil ihr geplantes Künstlerhaus am liebsten in einer klimatisch bevorzugten Gegend, dabei aber von Großbritannien nicht allzu weit entfernt sein sollte, einigten sie sich recht schnell auf die Kanarischen Inseln. Doch welche der – inzwischen offiziel acht – Inseln würde die Richtige sein? Simon und Sarah fuhren einfach methodisch und zielgerichtet alle Kanareninseln mit dem Auto ab. Sarah, auf dem Beifahrersitz, mit der Landkarte auf dem Schoß, dirigierte Simon durch jedes einzelne Dorf. Von Gran Canaria bis Fuerteventura und schließlich nach Lanzarote, wo sie, nachdem sie mit der Fähre übergesetzt hatten, gleich in den Norden fuhren und auf der Straße durchs Malpaís am Fuße des Monte Corona wussten: Das ist die richtige Insel, hier auf Lanzarote soll das Kunsthaus entstehen.
Seither nehmen die beiden jeden Fußbreit der Insel in Augenschein, arbeiten als „Workawayer“ gegen Unterkunft und vereinbarte Zeit in den unterschiedlichsten Jobs, bei Fluggesellschaften oder in der Feriengästebetreuung ebenso wie für Kunstprojekte einzelner Gemeinden oder sogar der Inselregierung.
Immer mit der Vision vor Augen, wie „ihr“ Künstlerhaus einmal aussehen soll, nämlich ähnlich einem Projekt auf Zypern, wo Sarah lange Zeit gelebt und gearbeitet hat, dem Campus des heutigen Cyprus College of Art in der Küstenstadt Larnaka, welches der zypriotische Maler Stass Paraskos einst gründete.
Simon und Sarahs Traum wäre ein Ort auf Lanzarote, an welchem sich Künstler und solche, welche (sich) in der Kunst (aus-)üben wollen, zusammenfinden und miteinander oder nebeneinander arbeiten und leben. Das Besondere an der geplanten lanzarotenischen Kunstschule solle vor allem auch sein, dass wirklich jeder willkommen sein soll, der Lust auf Kunst hat. Vor- und Ausbildung sollen keine Rolle spielen. Die Lust zur Malleidenschaft soll sein, was zählt, und nicht irgendeine Vorbildung oder erworbene Studienzertifikate.
Vorsichtig angeführte Zweifel meinerseits, wie ein solches Immobilienobjekt auf unserer Insel angesichts der hohen Immobilienpreise überhaupt gefunden werden könne, scheinen die jungen Künstler nicht wirklich zu deprimieren. Beide haben viel Projekterfahrung im Umfeld der Kunst und setzen darauf, entsprechende EU-Fördertöpfe auftun zu können. Nur müsse halt erst ein entsprechender Projektplan aufgesetzt und ein passendes Immobilienobjekt gefunden werden.
Es erscheint mir wie eine Goliath-Aufgabe. Aber ich denke auch: Das wäre doch ein Projekt, dass Lanzarote, der Insel, die so sehr vom Schaffen eines Künstlers – César Marique – profitiert hat und immer noch profitiert, gut zu Gesicht stünde. Wo, auf den Kanaren, wenn nicht auf unserer Insel, könnte eine moderne, für alle offene Kunstschule besser angesiedelt sein? Und wer, wenn nicht Simon, könnte mit seinen vergänglichen Kunstspuren, angesichts eines auch auf Lanzarote immer stärker wachsenden Ökologiebewusstseins ein idealeres Gründungsmitglied sein?
Denn seine Kunst steht durchaus auch dafür, was Land-Art auch sein kann: Kunst, die mit einer gesellschaftskritischen Komponente besetzt ist. Dem Besitzbürgertum, das die Werke der bildenden Kunst nur noch als Spekulationsobjekte betrachtete und betrachtet, will Land-Art Künstler Simon kein neues Konsumgut in den unersättlichen Rachen werfen. Simon will neben der Kunst um der Kunst Willen auch Werke schaffen, die in keiner Galerie ausgestellt werden können, nicht transportabel, noch käuflich, nicht umweltschädlich noch dauerhaft sind. Schön. Vergänglich. Spurlos.