Ich liege am Strand La Concha auf der kleinen Kanareninsel Lobos und döse in der Mittagssonne vor mich hin. Während mein Körper immer schwerer und mein Geist immer leichter wird, gleite ich langsam in den Schlaf. Das Kreischen der Möwen wandelt sich in das Heulen von Mönchsrobben und ich befinde mich plötzlich im 15. Jahrhundert...
Wie ein im Nirgendwo schwebender Beobachter überblicke ich den Strand, der von einer großen Robbenkolonie bevölkert wird. Plötzlich stürmen mindestens vierzig Männer den Strand und beginnen unter lautem Gejohle, so viele Tiere niederzumetzeln, wie sie nur erwischen. Unter den Robben bricht Panik aus: Viele versuchen, sich ins rettende Meer zu flüchten, doch vielen, vor allem den ahnungslosen Jungtieren, gelingt die Flucht nicht. Binnen Minuten ist der Strand übersät von Kadavern. Der eben noch weiße Sand trieft von Blut und das gerade noch klare, türkisfarbene Wasser ist dunkelviolett gefärbt.
Fröstelnd wache ich auf – eine Wolke hat sich vor die Sonne geschoben. Der metallene Geruch von Blut liegt mir noch in der Nase, aber die düsteren Bilder meines Traumes sind verschwunden. Meine Augen schläfrig zu Schlitzen verengt, reduziert sich mein Sichtfeld: Ich sehe weißen Sand, türkisfarbenes Wasser und blauen Himmel. Die wenigen elementaren Zutaten, aus denen das Paradies gestrickt ist.
Zumindest das des Pauschalurlaubers im 21. Jahrhundert. Vor sechshundert Jahren sah die Realität auf Los Lobos anders aus. Anfang des 15. Jahrhunderts tauchte das kleine Eiland in der Meerenge La Bocaina zwischen Lanzarote und Fuerteventura zum ersten Mal in Beschreibungen von Seefahrern und Händlern auf. Von 1402 bis 1405 nutzten Jean de Betancourt und seine Mannen die Insel als Rückzugsgebiet während ihrer Eroberungszüge. Sie gaben ihr den Namen „Isla de Lobos“ weil sie von einer großen Kolonie von Mönchsrobben besiedelt war. „Lobo“ bedeutet Wolf – die Seefahrer bezeichneten die Robben fälschlicherweise als Seewölfe.
Die Robben waren den hungrigen Seefahrern eine willkommene Fleisch-, Fett- und Fellquelle. In kürzester Zeit jagten sie so viele, dass die gesamte Kolonie bald ausgerottet war.
Wie sich die Männer Jean de Betancourts in meinen Traum geschlichen haben? Als ich am Morgen mit meinem Freund Stephan und seiner Reisegruppe von Wikinger-Reisen auf Lobos anlandete, erzählte Stephan uns zur Einführung ein bisschen zur Geschichte der Insel und eben, dass ihr Name von den seinerzeit hier lebenden Mönchsrobben stammt.
Lanzarote37º macht heute sozusagen einen Betriebsausflug: Susanne und ich haben uns Stephan und seiner ausgesprochen gut gelaunten Truppe angeschlossen, um Lobos zu erkunden. Die Reisegruppe verbringt zwei Wochen auf Lanzarote unter dem Motto: Ein Standort - Vier Inseln. Im Programm einige Wanderungen auf Lanzarote sowie je eine Tour auf Fuerteventura, La Graciosa und Lobos.
Nach der kleinen Einführung am Fähranleger „El Muelle“ machen wir uns unter Stephans Leitung zu einer gut zehn Kilometer langen Rundwanderung auf. Vom Anleger wenden wir uns nach rechts, also nach Osten, und erreichen in wenigen Minuten eine äußerst urig anmutende Ansammlung von teilweise gemauerten, teilweise gezimmerten Hütten: El Puertito – das einzige „Dorf“ auf Lobos. Die Bezeichnung Dorf ist eigentlich ein bisschen übertrieben, denn die Hütten sind nicht ganzjährig bewohnt – nur an den Wochenenden und im Sommer verbringen einige Fischerfamilien hier ihre Zeit. Es gibt ein Restaurant „Isla de Lobos“, das von dem Sohn des letzten Leuchtturmwärters betrieben wird. Stephan hat für die Gruppe das Mittagessen vorbestellt, es wird Paella und fangfrischen Fisch geben. Einige Wanderer aus unserer Gruppe sparen nicht mit flapsigen Kommentaren bezüglich des abenteuerlichen Aussehens der „Restaurant-Hütte“. Doch die Aussicht verzeiht das abbruchreife Aussehen: Das Puertito liegt an einer atemberaubenden Felsküste, die allen zahlreiche „Ah´s“ und “Oh´s“ entlockt: Die flache Lagunenlandschaft ist eingebettet in schwarzes Lavagestein. Der sandige Untergrund lässt das flache Wasser türkisfarben leuchten. Ein paar Möwen segeln im Wind.
Der Wanderweg führt uns vom Puertito aus weiter nach Norden. An den „Lagunitas“ verweilen wir und beobachten die zahlreichen Seevögel, die in diesem besonderen Ökosystem zu Hause sind: Regenbrachvögel, Seidenreiher und Kuhschenkel staksen durchs flache Wasser auf der Suche nach Nahrung. Die schon erwähnten Weißkopfmöwen sind zuhauf vertreten. Das Gelände ist sehr flach und wird regelmäßig vom Hochwasser überspült. Daher finden sich hier nur Pflanzen, die mit sehr hohem Salzgehalt leben können, sie sind „halophil“ – salzliebend. Salzkraut, Meertraube und der auf Lobos endemische Strandflieder „Siempreviva“ Lomonium ovalifolium canariense, wachsen neben Moquiins Traganuum und den Wolfsmilchgewächsen Euphorbia obtusifolia und Euphorbia balsamiferica.
Weiter geht es auf dem Wanderweg – in unregelmäßigen Abständen weisen kleine Schilder darauf hin, den selbigen nicht zu verlassen. Die Landschaft ist geprägt von kleinen Vulkankegeln – den so genannten „Hornitos“, viel Sand und viel Geröll. Kein Strauch wächst höher als einen Meter. Susanne haben wir längst verloren – sie ist mit der Kamera auf der Jagd nach Motiven. Gut, dass man sich auf übersichtlichen 4,6 Quadratkilometern nicht wirklich verlaufen kann.
An der Nord-Ost-Küste stoßen wir auf den „Playa de Arena“, der ein weiteres Paradies sein könnte: In der windgeschützten Bucht schmiegt sich weißer Sand an die schwarzen Felsen. Die Bucht ist jedoch so ungünstig gelegen, dass die Strömung hier all das ablegt, was das Meer wieder hergibt: Treibgut, Tierkadaver und viel, viel Plastikmüll. Ein paar Wanderfreunde stehen mit hängenden Köpfen im Halbkreis um die mumifizierten Kadaver zweier Karettschildkröten, die die Angelschnur, die für das leidvolle Ende ihres Lebens verantwortlich war, noch um Hals und Flossen gewickelt haben. Wie Trauergäste murmeln sie ein paar teilnehmende Worte.
Ganz im Norden erklimmen wir den kleinen Hügel, auf dessen Gipfel der Leuchtturm thront. Der „Faro Martiño“ wurde im Jahr 1865 nach zweijähriger Bauzeit eingeweiht und wies unzähligen Seefahrern den Weg. 1968, nach der Automatisierung, verließ der letzte Leuchtturmwärter Antonio Hernández Páez seinen Posten. Von hier oben hat man bei gutem Wetter eine unbeschreibliche Aussicht auf das acht Kilometer entfernt liegende Lanzarote und das nur zwei Kilometer entfernt liegende Fuerteventura. Dieser Ausblick ist uns heute leider nicht vergönnt, stattdessen packen wir die Regenjacken aus. Übrigens eine seltene Ehre, denn auf der wüstenartigen Insel regnet es so gut wie nie. Stephan macht uns auf eine angewitterte Gedenktafeln aufmerksam: 1909 wurde in diesem Haus Josefina Pla als Tochter des damaligen Leuchtturmwärters geboren. Sie wanderte als junge Frau nach Paraguay aus und wurde eine im spanischen Sprachraum sehr bekannte Schriftstellerin.
Die höchste Erhebung der Insel – den Vulkankegel Montaña La Caldera mit 127 Metern Höhe – vor Augen, wenden wir uns nach Südwesten und schlagen damit den Weg zurück zum Ausgangspunkt ein. An einer Weggabelung am Fußes des Vulkans stellt Stephan uns vor die Entscheidung: Rauf auf die Caldera oder direkt zum Strand. Keiner von uns schämt sich, den doch recht anstrengenden Aufstieg über 148 Treppenstufen abzulehnen und sich stattdessen dem Strand „La Concha“ zuzuwenden. Nur einer macht sich auf: Stephans Co-Guide Mathias will sich die (verhangene) Aussicht nicht entgehen lassen.
Inzwischen haben sich auch die Wolken verzogen und die Sonne scheint auf die traumhaft schöne Bucht La Concha. Ich suche mir ein windgeschütztes Plätzchen und beschließe, ein kleines Nickerchen zu machen, während der Rest der Gruppe weiterzieht zum Mittagessen. Während mein Körper immer schwerer und mein Geist immer leichter wird, gleite ich langsam in den Schlaf…
(12/08 No.29)
Parque Natural del Islote de Lobos
Die 468 Hektar kleine Insel Islote de Lobos steht seit 1982 unter Naturschutz. 1994 wurde Lobos zum „Parque Natural del Islote de Lobos“, also zum Naturpark, erklärt. Die Insel ist in
verschiedene Zonen eingeteilt: Es gibt Bereiche, die von der Allgemeinheit genutzt werden
dürfen und solche, die als Reservat geschützt sind. In letzteren ist das Betreten verboten.
Besonders schützenswert sind auf Lobos die empfindlichen Ökosysteme, die Lebensraum für über 130 Pflanzenarten und zahlreiche, teilweise vom Aussterben bedrohte Vogelarten sind.
Losbos ist außerdem ausgewiesenes
Vogelschutzgebiet ZEPA. Die Entstehung der kleinen Vulkaninsel fällt ins Pleistozän. Vorherrschend sind Basalt und organische Sande.
Anreise
Mit der Fähre von Playa Blanca nach Corralejo auf Fuerteventura. Am besten die Fähre nehmen, die um 9 Uhr in Playa Blanca ablegt. Im Hafen von Corralejo liegen zwei Boote, die regelmäßig nach Lobos übersetzen: Die „Isla de Lobos“ und die „Majorero“. Abfahrt 10 Uhr. Zurück nach Corralejo geht´s um 16 Uhr, von Corralejo nach Lanzarote dann um 17 Uhr.
Erlaubt & Verboten
Es gibt auf Lobos Dinge, die verboten sind, darunter das Anlegen von Booten (außer an der Hafenmole), das Einführen von Haustieren, das Verlassen der Wege, Anzünden von Feuer außerhalb der dafür vorgesehenen Zone, Lärmbelästigung, Jagdaktivitäten, Wegwerfen und Vergraben von Müll, Verändern, Beschädigen oder Mitnehmen von Gegenständen von historischem oder natürlichem Wert, allgemein jede Aktivität, die sich gegen die Natur oder die Landschaft des Parks richtet.
Zelten ist auf Lobos nur auf dem Platz „La Carpinteria“
und nur in der Osterwoche und im Sommer erlaubt. Die Genehmigung dafür beantragen Sie bei der Umweltabteilung der Inselregierung: Cabildo de Fuerteventura, Consejeria de Medioambiente, C/Secundino Alonso / C/San Roque, Tel.: 928 861 115, Mo.-Fr. 8-15 Uhr.
Wenn Sie im Restaurant Essen möchten, müssen Sie morgens bei der Ankunft vorbestellen!
Mönchsrobben
Mönchsrobben sind eine Gattung der Hundsrobben. Als einzige Robben bewohnen sie ganzjährig tropische und subtropische Meere. Heute sind Mönsrobben in ganz
unterschiedlichen Regionen der Welt verbreitet. Man kennt drei Arten: Mittelmeer-Mönchsrobbe Monachus monachus (Herrman 1779), Hawaii-Mönchsrobbe Monachus schauinslandi (Matschie 1905) und Karibische Mönchsrobbe Monachus tropicalis (Gray 1850). Die Mittelmeer-Mönchsrobbe ist durch Verfolgung extrem selten geworden. Es gibt noch kleine Restpopulationen mit insgesamt 500 Tieren, diese befinden sich an den griechischen und türkischen Küsten und vor allem an den afrikanischen Küsten von Marokko und Westsahara. Es gibt Studien und Überlegungen, die Mönchsrobben wieder auf Lobos anzusiedeln (www.de.wikipedia.org)
Besucherzentrum
Am Fähranleger auf Lobos wird derzeit ein Besucherzentrum eingerichtet, das im nächsten Jahr eröffnet werden soll. Derzeit malt Jaime Avilés Campos gerade die Geschichte der Insel mit ihrer ehemaligen Tierwelt für das
Mehr über den Künstler Jaime Avilés