Beim Ausbruch des Vulkans Monte Corona im Norden von Lanzarote entstand vor etwa 20.000 Jahren ein unterirdischer Lavatunnel, der sich vom Monte Corona über sieben Kilometer bis hinab zu den Jameos del Agua zieht. Nahe der Küste formten sich während dieser Eruptionen mehrere, teilweise mit Meerwasser gefüllte Kammern aus: Die sogenannten „Jameos de los Lagos“ und - eine der größten Attraktionen Lanzarotes – die „Jameos del Agua“, die Lanzarotes berühmtester Künstler, César Manrique, Jahrtausende später zu einem einzigartigen und weltweit beachteten Naturkunstwerk umgestalten sollte. Doch in den „Jameos del Aqua“ ist dieses unterirdische Tunnel- und Seensystem noch nicht zu Ende. Im hinteren Teil des dortigen Restaurants ist der Einstieg in den -„Túnel de la Atlántida“. Ein geheimnisvoller, vollständig mit Meerwasser gefüllter Tunnel, der durch den atlantischen Ozean hinab taucht, 1,4 Kilometer lang ist und sich bis zu fünfzig Meter unter den Meeresspiegel windet, um in einer Sackgasse zu enden.
Der Túnel de la Atlántida ist eine wahre Schatzgrube für internationale Biologen und seine Erforschung immer wieder eine enorme Herausforderung an Mensch und Material. Seit seiner ersten Erforschung 1983 tauchten Wissenschaftler nur zehn Mal in das völlig dunkle Tunnelsystem ein. Zuletzt wagte dies ein internationales Wissenschaftsteam im März dieses Jahres. Dank der deutschen Wissenschaftler Professor Horst Wilkens und Dr. Ulrike Strecker durfte Lanzarote37° an dieser Expedition teilhaben und exklusiv Bilder vom Inneren des Tunnels und dessen geheimnisvoller Tierwelt zeigen.
Gefährliches Höhlentauchen
Der Túnel de la Atlántida ermöglicht der Wissenschaft einen einzigartigen Einblick in die Geheimnisse der Tierwelt, die in dem mit Meerwasser gefüllten Spaltensystem des vulkanischen Untergrundes von Lanzarote lebt. Er ist wie eine Schatzkammer gesichert, weil der Zugang in diesen Lebensraum schwierig und mit Risiken behaftet ist. Nur erfahrene Höhlentaucher können den Einstieg wagen, denn es gibt nur den einen oben erwähnten Zugang. Will man also eintauchen, so muss man den ganzen Weg, den man hinein geschwommen ist, immer wieder zurück schwimmen. Zur vollständigen Erkundung bis zum Ende des Tunnels sind dies nahezu drei Kilometer. Dabei müssen die Taucher darauf achten, dass der Tauchvorgang mit dem Ein- und Ausfließen von Ebbe und Flut abgestimmt wird, da sie sonst kräftezehrend „gegen den Strom“ schwimmen müssen. Die biologische Erforschung des Túnel de la Atlántida ist – wie erwähnt – eine technisch und logistisch aufwändige Angelegenheit. Daher sind bislang auch nicht mehr als zehn Expeditionen über den engeren Einstiegsbereich hinaus tiefer in ihn hinein getaucht. Im März dieses Jahres war es wieder soweit. Eine internationale wissenschaftliche Expedition mit dem Namen „Atlántida 2008“ stieg wieder in den Tunnel ein, um ihn weiter zu erforschen.Die planerische Vorbereitung und die Organisation dieser Expedition unternahmen Professor Horst Wilkens und Dr. Ulrike Strecker von der Universität Hamburg zusammen mit Prof. Thomas Iliffe von der University of Galveston (Texas, USA).Bei dieser Unternehmung wurde mit der sogenannten „closed circuit“ – Technik getaucht. Eine Technik, welche es ermöglicht, dass das ausgeatmete Kohlendioxid der Taucher chemisch gebunden und der Atemluft des Tauchers wieder zugeführt wird. Es werden dabei also keine Atemluftblasen nach außen abgegeben und so ökologische Beeinträchtigungen des sensiblen Höhlenökosystems vermieden, indem sich die verbrauchte Atemluft nicht mehr an der Höhlendecke sammeln kann. Außerdem ermöglicht dieses System es auch, über einen längeren Zeitraum zu tauchen. Bis es jedoch so weit war, musste ein gewaltiger Berg an Gerätschaften für die vier Taucher aus den USA eingeflogen werden.Natürlich – warum sollte es Wissenschaftlern anders gehen als uns normalen Bürgern – ging dabei das ein oder andere Gepäckstück an die falsche Adresse, so dass es einige Tage und Telefonate dauerte, bis alles Gerät zusammen und die Taucher technisch so ausgerüstet waren, dass sie mit der eigentlichen Arbeit beginnen konnten.Vor und nach den Tauchgängen, die häufig bis in die Nacht andauerten, konnte man die Taucher, ähnlich Astronauten bei Weltraumausflügen, in voller Montur und unter dem Gewicht der Ausrüstung ächzend, zwischen dem Eingang in die Jameos del Agua und dem Einstiegsbereich des Túnel de la Atlántida über die Treppen und den Geröllhang klettern sehen. Zusammen mit einem Team von insgesamt vier versierten Höhlentauchern bildeten Tom Iliffe und Horst Wilkens den Kern der Expedition Atlántida 2008. Außerdem nahmen Spezialisten für bestimmte Tiergruppen von den Universitäten in La Laguna (Teneriffa) und Hannover (Deutschland) teil. Insgesamt bestand die internationale Arbeitsgruppe aus acht Wissenschaftlern. Alle nötigen Genehmigungen zum Fang seltener Tierarten sowie auch zur Erforschung des Lebensraumes wurden von den zuständigen Behörden auf Teneriffa und Lanzarote freundlicherweise zügig erstellt. Das Standquartier der Taucher wurde nahe zum Einsatzort, gegenüber der Clínica Dr. Kunze in Arrieta, aufgeschlagen.
Höhlenschwimmer und altertümliche Krebse
In Fachkreisen gilt Tom Iliffe als der weltweit renommierteste in Höhlen tauchende Biologe. Er hat Hunderte dieser Lebensräume vor allem auf den Bermudas, den Bahamas, in der Karibik, in Mexiko und im Pazifik erforscht und dabei eine Vielzahl augen- und pigmentreduzierter Tierarten für die Wissenschaft neu entdeckt. Mit ihm zusammen war bei der ersten Expedition in den Túnel de la Atlántida im Jahre 1983 ein spektakulärer Fang gelungen: Erst 1981 war ein Vertreter einer gänzlich neuen Klasse von Krebstieren, der Remipedia, in den „Lucayan Caverns“ auf Grand Bahama Island entdeckt worden. Dieser Krebs sieht wie ein im Wasser lebender bleicher Hundertfüßler aus und hat, wegen seiner Eigenart unentwegt zu schwimmen, den Gattungsnamen „Höhlenschwimmer“ (lateinisch Speleonectes) erhalten. In Erinnerung an die von den Spaniern innerhalb weniger Jahre nach ihrer „Entdeckung“ ausgerotteten Ureinwohner der Bahamas, den Lucayanern, gab man ihm den Artnamen.
Speleonectes lucayensis
Schon bei einem der ersten Tauchgänge im Túnel de la Atlántida“, während der Expedition 1983, gelang dem Team um Tom Iliffe und Horst Wilkens der sensationelle Fang eines zweiten Vertreters dieser Krebsklasse.
Diese Entdeckung hat eine interessante Nebengeschichte: Durch Pressemitteilungen auf diese Sensation aufmerksam geworden, nutzten andere Wissenschaftler diese Kenntnis, um weitere Exemplare nach Abreise des Iliffe-Teams zu fangen. Sie konnten sich so den Ruhm der Erstbeschreibung von Speleonectes ondinae, der weltweit zweiten Art eines Remipedia, sichern – ein kleiner Einblick in die für den Außenstehenden so hehre Welt der Wissenschaftler.
Inzwischen sind weitere Vertreter dieser Krebsklasse entdeckt worden. Die Tiere haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in und um die Karibik. Neben der auf Lanzarote vorkommenden Art wurde bislang nur eine einzige weitere außerhalb des hiesigen Vorkommenszentrums, nämlich in Westaustralien, entdeckt.
Alle bisher bekannten Remipedia leben in Höhlen und haben ihre Augen und das dunkle Körperpigment reduziert. „Oberirdisch“ lebende Formen wurden bislang nicht gefunden. Die nächsten Verwandten wurden in Fossilfunden aus dem Erdzeitalter des Karbons entdeckt. Sie lebten also vor etwa 300 Millionen Jahren.
Nachdem sich herausgestellt hat, dass in einzelnen Höhlen der Bahamas sogar mehrere Arten dieser altertümlichen Krebse nebeneinander vorkommen, war es eines der Hauptforschungsziele der Expedition Atlántida 2008 festzustellen, ob dies auch im Túnel de la Atlántida der Fall ist.
Unterirdischer Sandhügel: Montana de Arena
Ein weiteres Ziel bei der Erforschung des Túnel de la Atlántida war der sogenannte Montaña de Arena. Dies ist ein gewaltiger Sandhaufen, der sich vom Boden des Tunnels zwanzig Meter hoch auftürmt. Der Sandberg liegt etwa 720 Meter vom Eingang des Tunnels entfernt, in einem Abschnitt, der sich ca. 25 Meter unter der Meeresoberfläche befindet.
Sein Sand hat eine besondere Herkunft. Er besteht aus Hunderttausenden von Muschel- und Schneckengehäusen sowie Tintenfisch- und Stachelhäuterskeletten, die von der Brandung am Meeresboden über dem Tunnel zerschlagen wurden. Auch an der Küste des Lavafeldes Malpaís de la Corona sieht man derartigen Sand überall an den Stränden weiß leuchten. Oberhalb des Sandberges gibt es offenbar ein Spaltensystem im Tunneldach, durch das das Material mit dem einströmenden Flutwasser in das Innere des Tunnels gespült wird. Über die Jahrtausende hat sich so dieser große Berg gebildet.
Korallen und Krebse: Überleben in völliger Dunkelheit
Innerhalb des steinigen und kahlen Lavatunnels bildet dieser Sandhügel ein einzigartiges Biotop, das mit dem zwischen den Sandkörnern gebildeten feinen Spaltensystem einer besonderen - mikroskopisch kleinen - Tierwelt ganz spezielle Lebensräume bietet. Hier lebt zum Beispiel eine große Zahl von kleinen, lang gestreckten Borstenwürmern. Mit dem einströmenden Flutwasser werden auch Reste von in der Brandung getöteten und zerriebenen Tier- und Pflanzenteilen eingespült. Durch diese Nahrungsversorgung können hier sogar einige Garnelen leben. Besonders auffällig ist die bis zu sieben Zentimeter große Scherengarnele. Sie hat lange Antennen, besitzt große Stielaugen und ist prächtig rot gefärbt und unterscheidet sich dadurch von den „richtigen“ pigment- und augenlosen Höhlentieren. Die Art kommt hauptsächlich in tieferen und daher lichtärmeren Meereszonen vor, wo ihre Rotfärbung der Tarnung dient. Die Tiere erscheinen hier schwarz gefärbt, da das langwellige rote Licht nicht so weit in Tiefe zu dringen vermag. Neben der Scherengarnele gelang es auf dieser Expedition, eine etwas kleinere Garnele zu entdecken, die sogar sehr häufig beobachtet wurde. Bislang ist ihre Bestimmung noch nicht abgeschlossen und es besteht in diesem Falle ebenfalls die Vermutung, dass es sich um eine der Wissenschaft bislang nicht bekannte, neue Art handelt. Auch sie zeigt Rotfärbung und besitzt Augen. Etliche Individuen trugen an der Unterseite ihres Hinterleibes relativ große dotterreiche Eier. Dies deutet darauf hin, dass sich die Tiere hier - im absoluten Dunkel - sogar fortpflanzen können. Auch an der Tunneldecke über dem Montaña de Arena wurden zoologische Besonderheiten entdeckt: Erstmalig wurde festgestellt, dass sich an der Decke über dem Sandberg Individuen einer noch unbekannten Art von Steinkorallen der Gattung Caryophyllia angesiedelt haben. Es sind bis zu zwei Zentimeter große fest sitzende einzelne Polypen, die in einem Kalkskelett stecken. Sie können hier leben, indem sie offenbar dem einströmenden Wasser ihre Nahrung, Kleinlebewesen und organische Partikel, mit ihren langen Tentakeln entnehmen.Der „normale“ Besucher der Jameos del Agua sieht im Wasser nur den blinden weißen Krebs Munidopsis polymorpha, den „Jameito“, als einzige vorkommende Art. Er ahnt nicht, wie viele Tiere im Lavatunnel im Verborgenen leben. Heute ist die Existenz von insgesamt 50 verschiedenen Arten nachgewiesen. Die meisten von ihnen sind Krebse. Sie sind mit 26 Arten vertreten, die fast alle ausschließlich hier gefunden wurden. Man spricht deshalb von endemischen Arten. Die zweithäufigste Gruppe wird mit 13 Arten von bestimmten Borstenwürmern gebildet, von denen sechs nur auf Lanzarote vorkommen. Die blinden und bleichen im Túnel de la Atlántida lebenden Arten haben sich bereits vor langer Zeit entwickelt und haben den geologisch sehr jungen Lavatunnel erst nach seiner Entstehung besiedelt. Seine bisherige Erforschung hat wichtige wissenschaftliche Entdeckungen über die einzigartige marine Tierwelt des Grundwassers Lanzarotes erbracht. Die weitere biologische Erkundung des Túnel de la Atlántida wird sicherlich noch manche Überraschung hinzufügen.
Wenn Sie mehr über die Natur Lanzarotes mit ihrer besonderen Tier- und Pflanzenwelt erfahren möchten, können Sie dies in dem Buch „Lanzarote – Kragentrappen, blinde Krebse und Vulkane“ von Horst Wilkens nachlesen. Dieses Buch gibt es auch in englischer und spanischer Sprache und ist in folgenden Souvenirshops zu kaufen: Fundación César Manrique*, Montañas del Fuego*, Jameos del Agua*, Jardín de Cactus*, Mirador del Río*, Casa Monumento al Campesino. Außerdem sind diese Bücher im Pardelas Park in Órzola, dem Shop Aha, Casa Santiago in Teguise sowie der Clínica Dr. Kunze in Puerto del Carmen und Arrieta erhältlich. Im Pardelas Park und dem Shop Aha können Sie zudem noch beeindruckende Tier- und Pflanzenfotos als besondere Briefkarten erwerben. Außerdem können Sie das Buch per E-Mail unter info@naturalanza.com bestellen.
Öffnungszeiten "Jameos del Agua" täglich von 10 bis 18:30 Uhr.
Abends können sie die Höhlen dienstags und samstags von 19:00 bis 01:00 Uhr in der Nacht besuchen.
Vom 15. Juli bis 15. September auch mittwochs von 19:00 bis 01:00 Uhr in der Nacht.
Am 18. Mai, 24. und 31. Dezember schließen die Jameos del Agua um 17:45 Uhr.
Es gibt in den Jameos del Agua auch ein Café und ein Restaurant.
Tel.: 0034 - 928848020
Im Internet finden Sie die Jameos del Agua auf den offiziellen Seiten der Centros de Arte, Cultura y Turismo von Lanzarote
(12/08 No.29)