Die Wettervorhersage für den geplanten Wandertag war nicht besonders viel versprechend – es sollte am Nachmittag sogar regnen – und so wunderte es mich nicht, dass ich auf dem Weg nach Haría durch dichte Nebelfelder fuhr. Um neun Uhr traf ich, wie verabredet, auf Harías Kirchplatz die kleine Gruppe von Lanzatrekk – ein lokaler Wanderverein – und Stephan Isenmann, dessen Wanderprofi.
Nachdem sich die acht Teilnehmer der Exkursion miteinander bekannt gemacht hatten, gab Stephan eine kurze Einführung über den Routen- und Tagesablauf, wobei die wichtigste Ansage war, dass wir “nicht auf der Flucht” seien, sondern den Tag in vollen Zügen genießen sollten.
Noch waren alle in warme Pullis und Windjacken gehüllt, als die Gruppe in nordwestlicher Richtung aus Haría hinauswanderte. Auf einem gut begehbaren Schotterweg spazierten wir an den letzten Häusern des Ortes vorbei, das erste Etappenziel – den Gipfel des Montaña Ganada auf 583 Metern – immer noch in dichte Wolken gehüllt, vor Augen.
Kurz darauf hielten wir unter einem wunderbar duftenden Kierfernhain: Hier erklärte Stephan den Unterschied zwischen der berühmten Kanarischen Kiefer Pinus canariensis (drei Nadeln bis zu 30 Zentimeter lang in grünlich-bräunlicher Scheide) und der auf Lanzarote häufiger vorkommenden Aleppo-Kiefer Pinus halepensis (nur zwei Nadeln bis 15 Zentimeter lang).
Weiter am Wegesrand stießen wir auf einige Vertreter der typischen lanzarotenischen Flora: Ausgedehnte Teppiche des violett blühenden endemischen Natternkopfs Echium lancerottense konkurrieren mit dichten Büschen der Kronen-Wucherblume Chrysanthemum coronarium und dem auf den Ost-Kanaren endemischen Seidenhaarigen Goldstern Nauplius intermedius.
So wanderten wir plaudernd vor uns hin - der leichte Anstieg war problemlos zu bewältigen - und genossen die für lanzarotenische Verhältnisse üppige Vegetation. Inzwischen war die Wolkendecke aufgerissen, und es wurde angenehm warm. Plötzlich machte der Weg eine Kurve, und es eröffnete sich völlig unerwartet eine unbeschreibliche Aussicht: von der Steilklippe des Famara Massivs überblickten wir die weit unter uns liegende Bucht von Famara und die Flugsandebene El Jable. In der Ferne zeichneten sich schemenhaft die Feuerberge ab.
Die nächste Etappe bis zum Gipfelkreuz des Montaña Ganada war etwas abenteuerlich: mehr oder weniger am Grat der Steilküste entlang führt ein kaum auszumachender Pfad, der ursprünglich von einheimischen Kaninchenjägern ausgetreten worden ist. Zwischen flechtenüberzogenem Gestein fanden sich viele Vertreter der lokalen Vegetation in voller Pracht: Wolfsmilchgewächse, Kleinien, der Sparrige Bocksdorn Lycium intricatum, die Fiederspaltige Gänsedistel Sonchus pinnatifidus und das auf Lanzarote endemische Rutenkraut Ferula lancerottensis säumten unseren Weg.
Am Gipfelkreuz angekommen, war es Zeit für eine kleine Stärkung; alle packten die mitgebrachten “Bocadillos” aus. Der Panoramablick über das Tal der Tausend Palmen entschädigte für den etwas beschwerlichen Aufstieg und lies das Brötchen noch besser schmecken.
Sehr kurios muten die hier aufgestellten “Wolkenmelkmaschinen” an: Ein in einen Metallrahmen gespanntes feinmaschiges Netz lässt Feuchtigkeit kondensieren. Über einen Schlauch wird dieses Wasser in einen Kanister geleitet und steht direkt zur Pflanzenbewässerung zur Verfügung.
Bald drängte Stephan zum Aufbruch: Auf dem Hochplateau des Famara Massivs ging es weiter. Immer wieder eröffnete sich der Blick über den Grat der Steilklippe auf die 600 Meter unter uns liegende Bucht von Famara, bis wir zu Lanzarotes einzigem Wäldchen, dem “Bosquecillo” gelangten. In diesem Bereich wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder Aufforstungsversuche unternommen, um die Hänge des Famara Massivs vor der starken Erosion zu schützen. In den 80er Jahren pflanzte man größtenteils Mimosenakazien Acacia cyclops, bei den jüngsten Pflanzungen handelt es sich hauptsächlich um resistentere wilde Olivenbäume.
Dann machten wir uns auch schon an den “Abstieg”: Durch das “Valle de Malpaso”, einen ganzjährig grünen Barranco, ging es im Gänsemarsch zurück nach Haría. Da Stephan uns auf dem bisherigen Weg sehr fachkundig in die heimische Flora eingeführt hatte, fiel es jetzt umso leichter, die üppige Vegetation nicht nur in vollen Zügen zu genießen sondern auch selbst zu identifizieren. Zwischen mannshohen Agaven, duftenden Kiefern und vielen, vielen Kanarischen Dattelpalmen (Phoenix canariensis) entdeckten wir Endemiten wie die Madeira-Margerite Argyranthemum maderense und den Lanzarote-Hornklee Lotus lancerottensis.
Inzwischen hatten sich die letzten Wolken verzogen und sommerliche Temperaturen straften die morgendliche Wettervorhersage Lügen. Erfüllt von den Erlebnissen des Tages, marschierten wir in freudiger Erwartung auf den abschließenden Bar-Besuch nach Haría hinein.
Routenbeschreibung:
Vom Marktplatz in Haría in nordwestlicher Richtung, am Ayuntamiento vorbei, aus dem Ort hinaus, dann über einen Schotterweg bis zum “Mirador de Haría” – fast pfadlos hinauf zum Gipfelkreuz des Montaña Ganada auf 583 Metern – auf dem Hochplateau des Famara-Massivs zum Bosquecillo – Abstieg durchs “Valle de Malpaso” – an Manriques letztem Wohnhaus vorbei zurück zum Marktplatz.
Anspruch: Mittelschwere Rundwanderung mit einem kurzen, steilen Anstieg, Trittsicherheit erforderlich. Dauer: ca. 4 Stunden; Höhenprofil: +/- 300 Meter.
(05/07 N°10)