12.02.2012 Der spanische Nationalismus, d.h. hierzulande eher Regionalismus, feiert mal wieder fröhliche Urständ. Wie nicht anders zu erwarten war: Kaum war die neue konservative, und das heißt traditionell: zentralistisch ausgerichtete, Regierung im Amt und hatte ihren Grausamkeitenkatalog zu ihren Einsparungszielen nur in Ansätzen präsentiert, da traten sie denn auch schon auf. Die Katalanen vor allem, aber auch die sonst eher behäbig reagierenden kanarischen Nationalisten.
Obwohl noch keiner so genau wusste, was der neue Ministerpräsident Mariano Rajoy denn nun eigentlich wollte, war schon bald die Rede von der Unvereinbarkeit von Sparzielen und Verfassung.
Dass die aus der semifaschistischen Alianza Popular hervorgegangene, zentralistisch orientierte Partido Popular (PP) unter Rajoy auf erheblichen Widerstand vonseiten der nationalistischen und damit separatistischen Parteien stoßen würde, war von vornherein klar. Erstaunlich nur, dass es so schnell gegangen ist. Wenn man sich Europa insgesamt ansieht, steht der spanische Separatismus allerdings in einem gesamteuropäischen Zusammenhang.
Die Lega Nord hat beispielsweise in Italien seit den frühen Neunzigern immer mehr Anhänger gewonnen und strebt einen unabhängigen Staat mit Namen Padanien an. Andere Kräfte in Südtirol wollen sich eher Österreich anschließen, als weiter zu Italien zu gehören. Belgien ist und bleibt ein Land am Rand einer Spaltung. In beiden Ländern ist ein deutliches Wohlstandsgefälle die Ursache der Separationsbestrebungen. Historische Beispiele aus jüngster Zeit wie die ehemalige Sowjetunion, Jugoslawien oder die Tschechoslowakei belegen eindrucksvoll, dass reiche Landesteile nicht mehr bereit sind, ihre im gleichen Haus wohnende prekäre Mitbewohnerschaft mitzufinanzieren.
Im Zuge der sogenannten Wirtschaftskrise ist schon seit geraumer Zeit auch in Spanien immer wieder die Frage gestellt worden, ob man vonseiten der reichen Regionen wie Katalonien und Baskenland noch weiter die Transferunion innerhalb Spaniens aufrecht erhalten sollte.
Artur Mas, seit 2012 katalanischer Präsident, hatte schon im Wahlkampf angekündigt, er werde in spätestens acht Jahren aus Katalonien einen unabhängigen Staat gemacht haben. Und er betont trotzig sein Festhalten an katalanischen „Botschaften“ im Ausland und, dass man die eigene Sprache noch mehr fördern sollte – obwohl sich schon ein großer Teil des Unterrichts in Schulen und Universitäten auf Katalanisch abspielt. Superpraktisch für die Studenten in Barcelona: Selbst spanische Studenten verstehen vielfach schon heute in ihrem eigenen Land kein Wort mehr von der Vorlesung. Nichtsdestoweniger werde man das heutige Defizit auf 1,3 Prozent des regionalen katalanischen Bruttoinlandsproduktes begrenzen. Einer „Rezentralisierung“ werde man sich aber mit aller Macht widersetzen.
Was den neuen Regierungschef in Katalonien besonders in Wallung gebracht haben dürfte, war also nicht die Sache: die Reduzierung des Defizits – da ist man sich einig - , sondern der Plan Rajoys, in Zukunft die regionalen Haushalte kontrollieren zu wollen und damit den regionalen Regierungen einen gewichtigen Teil ihrer Souveränität zu nehmen (vergleichbar: Berlin muss den Haushalt von Hessen genehmigen, bevor er durch das hessische Parlament beschlossen wird.)
Als Rajoy gewählt wurde, stimmten die katalanischen Nationalisten von der CiU gegen ihn, die beiden kanarischen Nationalisten von der Coalición Canaria – Nueva Canarias enthielten sich der Stimme. Claudina Morales, „nationale“ Sprecherin der CC, kritisierte die Antrittsrede von Rajoy denn auch heftig mit den Worten, dass nun genau das geschehe, was die PP vorher versprochen hatte, nicht zu tun: nämlich die Steuern zu erhöhen.
Wenn so etwas wirklich der Fall sein sollte und Rajoy der falschen Wahlversprechen beschuldigt würde, könnte das neuen Sprengstoff für das weiter auseinander driftende Staatsgebilde Spaniens werden. Zum Redaktionsschluss war zumindest gerüchteweise schon davon die Rede, dass man die Ankündigungen der Antrittsrede Rajoys genau prüfen werde und auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung hin kontrollieren werde. Wobei man wissen sollte, dass es kanarische Nationalisten gibt, die von einem eigenen Staat „Canarias“ träumen. (Vergleich: Der hessische Ministerpräsident droht der Bundeskanzlerin an, ihre Vorhaben auf Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls einen aus dem Bundesstaat herausgelösten Staat „Hessen“ zu schaffen.)