„Man muss sehen können“, sagt Dieter Noss. Sein Anwesen in Las Breñas, dem Ort auf halber Höhe zwischen Yaiza und Femés, ist nicht zu übersehen. An der Außenwand lehnt eine haushohe Maurerkelle. Während sich in dem Nobelwohnort nicht wenige Adressen lieber abschotten, signalisiert hier ein Schild auf dem Grundstück mit dem Blick bis nach Fuerteventura einladend „Open Art“. Und wenn „der Noss“ auf der Insel ist, führt er in seiner offenen Art Besucher gern rum. In diesen Tagen, während seiner Ausstellung im Kulturhaus Benito Pérez Armas in Yaiza, kommen besonders viele, um mehr zu sehen von dem Mann, der den Schrott, den Lanzarote produziert, so überaus kunstvoll recycelt. Haus und Garten sind eine wahre Wunderwelt.
Das Rohmaterial hierfür liefert die Insel. Wind, Sand und Meer besorgen meist die Vorarbeit, schleifen, biegen, brechen, bleichen die Fundstücke, denen Noss mit seiner Phantasie und Kunstfertigkeit und meist mit einem Schuss Ironie eine neue Identität verleiht. Er improvisiert, komponiert, gibt einem Stück einen anderen Dreh ohne ab- oder zu überdrehen. Don Quijotes schmale, gar nicht so traurige Gestalt bekommt ihre unverwechselbare Figur aus rostigem, verbogenem Draht, ebenso wie der Stier.
Picassos Porträt stiert hinüber, auch der große spanische Kollege liebte dieses tierische Motiv. Alle seine Entlein sind bei Noss beschnabelte Hohlblocksteine, die so dekorativ im Kreis vor der Galerie dümpeln. Ausgeblichenen Holzbrettern verleiht er mit wenigen Pinselstrichen etwas afrikanisch Maskenhaftes. Auch alten Blecheimer-Deckeln.
Erkennen und Wiedererkennen sorgen beim Betrachter für Überraschungen und machen einfach Spaß. Auch, wenn man in Noss Küche den Riss in der Wand verfolgt, der sich auf dem Bild, was darauf hängt, munter fortsetzt: So kann man auch aus der Not, auf Lanzarote keinen Handwerker zu bekommen, eine dekorative Tugend machen.
Der 1947 in Hamburg geborene Dieter Noss studierte seine Kunst mit Schwerpunkt Grafik und Werbung. Vielleicht ist gerade deshalb bei ihm das Bild oft auch eine Botschaft. Er arbeitete für renommierte Magazine wie Spiegel und Stern, gestaltete Packungen und Plattencover. Und er ist immer auf dem Sprung – nicht nur zwischen seinen Wohnsitzen und Arbeitsplätzen auf Lanzarote und in München, sondern auch zwischen immer wieder neuen Projekten. Waren es vor Jahresfrist seine so fragil schimmernden Schiffe aus Glasscherben, ist er aktuell im Wortsinne schwer auf Draht. Aus verworrenem Geflecht formt er Kleidungsstücke, einen Bikini oder ein Herrenhemd. Einfach Spitze! „Da mach ich vielleicht was mit Wolfgang Joop“, verrät er verschmitzt.
Die Fundstücke für seine neuen Wertschöpfungen gehen dem quirligen Künstler ebenso wenig aus wie die Ideen. „Der Noss ist ein Verrückter“, beschreibt ihn Bettina Bork, eine Schülerin César Manriques, die in Haría mit Arte de Obra ein eigenes Kulturzentrum betreibt, liebevoll: „Zum Geburtstag hab ich ihm mal einen Anhänger voll Schrott vor die Tür gekippt“. In der Ausstellung entdeckt sie prompt einiges wieder.
Noss Kunst hat auch nachdenkliche, manchmal sogar meditative Momente, wie seine Buddhaköpfe, für deren Schimmer er eine eigene Technik entwickelt hat oder das Kreuz, dessen Querbalken der Hammer ist. Ja, man muss sehen können. Was nicht nur für den Künstler gilt. So mancher Besucher sieht die Insel nach einem Besuch bei Noss mit anderen Augen, entdeckt eigene und eigenartige Schönheiten in Schrott und Schlacke. Da wird dann der Ausstellungstitel „Lost and Found“ ganz leicht zu „Lust and Found“.
(05/09 No.34)